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Die Schöne von Sylt / 2005

In Sandras Ferienhaus auf Sylt trifft sich die alte Clique. Steffen bringt auch diesmal seinen Toaster mit. Anna versucht wie jedes Jahr, den schlechten Eindruck vom letzten Jahr wieder gut zu machen. Und Claudius träumt noch immer davon, die Alpen rosa zu beleuchten.
Eigentlich alles wie gehabt. Außer dass Szilia diesmal fehlt. Die schöne Estin, die sie alle so sehr mochten, ist nämlich tot. Und zu viert ist dann doch alles ganz anders als zu fünft.

Mit Stefanie Frauwallner, Amadeus Gollner, Ariane Senn und Dirk Witthuhn
Text und Regie Tobias Krechel
Bühne und Licht Nicola Vitali
Dramaturgie Edi Roelli, Bernhard Striegel
Produktion Reto Bernetta

Eine Koproduktion mit der Klibühni Chur


Das Stück DIE SCHÖNE VON SYLT, das am Dienstag in der Churer Klibühni Premiere gefeiert hat, besticht durch hochstehende Unterhaltung und starke schauspielerische Leistungen.

Das Puzzle. Jedes einzelne Teilchen durchläuft die Hand des Geduldigen. Und mit jedem einzelnen Teilchen wächst das Gesamtbild. Faszinierend eigentlich. Das Puzzle spielt auch in der neuesten Koproduktion der Churer Klibühni mit dem Flinntheater Kassel "Die Schöne von Sylt" eine zentrale Rolle. Im Grunde ist das gesamte Stück ein Puzzle für sich, denn im Mittelpunkt stehen Charaktere - vier um genau zu sein. Stück für Stück werden die einzelnen Wesenszüge dieser vier Menschen des 21. Jahrhunderts offen gelegt und ineinander gefügt. Manchmal geschieht dies ganz freiwillig, manchmal erzwingen die Umstände gewisse schamhaften Entblößungen.

Da wäre etwa Steffen (Amadeus Gollner), der ehemalige Matratzenfachverkäufer, der durch Zufall zum Leiter des städtischen Finanzausschusses gewählt wird und leidenschaftlich und gerne an Toastern rumbastelt. Oder Anna (Ariane Senn), die Kindergärtnerin, der ab und zu unkontrolliert die Faust ausrutscht. Ja, und dann ist da auch noch das Liebespaar, Claudius (Dirk Withuhn) und Sandra (Stefanie Frauwallner). Er, der lässige Beleuchtungsspezialist mit Erektionsstörungen, der davon träumt, einmal die Alpen zu beleuchten. Sie, die fürsorgliche, anhängliche Partnerin, die im Berufsleben eine erfolgreiche Geschäftsrau ist und nach und nach eine erstaunliche Rationalität an den Tag legt. Die vier ungleichen Menschen verbindet eine Freundschaft. Jedes Jahr verbringen sie ihren Urlaub in Sandras Ferienhaus auf der Insel Sylt. Die wichtigste Person in der Geschichte ist jedoch Silia, die Estin. Diese hat sich im vergangenen Jahr am letzten Ferientag das Leben genommen. Auf der Suche nach der Ursache für deren Freitod werden die vier fündig. Sie finden zu sich selber. Jeder für sich, aber - und diese Wendung macht die Thematik des Stückes besonders reizvoll - auf eine versöhnliche art auch im Kollektiv, in der Gesellschaft. Die Erinnerung an Silia verbindet die Freunde. Die Estin scheint bei gewissen von ihnen das Innerste erblickt und verstanden zu haben. Nun, da sie nicht mehr ist, bleibt auch diese Innerste nicht mehr verborgen, es dringt nach außen.

Der deutsche Regisseur Tobias Krechel hat "Die Schöne von Sylt" gemeinsam mit den Akteuren im Sinne eines Improvisationstheaters entwickelt. Es lebt vom trockenem, geistreichem Humor, von teils skurriler Situationskomik und von der großartigen Leistung der Schauspieler. Was die Produktion zusätzlich heraushebt, sind das Bühnenbild und das Lichtkonzept von Nicola Vitali. Durch den Einsatz von wenigen Elementen können auf der Bühne gleichzeitig bis zu drei örtlich getrennte, thematisch ineinander greifende Szenen stattfinden. Die Protagonisten machen Spaziergänge, Radtouren, sie besteigen sogar den schicksalhaften Leuchtturm, spielen Minigolf, kiffen in den Dünen, erleben Visionen und Erinnerungen. Die raschen, von Musik unterlegten Szenenwechsel verleihen dem Stück fast schon filmhafte Züge. Wie die Geschichte endet, sei nicht verraten. Nur soviel: Der Zuschauer wird nicht mit tausend offenen Fragen im Regen stehen gelassen. Ebenso endet das Stück im Feuerwerk eines Hollywood-Happy-Ends. Der Schluss rundet das gesamte Stück ab: Er ist ganz einfach- menschlich.

(Graubündner Tageblatt, 08.09.2005)